Titelanerkennung ausländischer Titel (Schweiz)


Ein gerichtlicher Titel ist erst dann wirtschaftlich wertvoll, wenn er auch dort durchgesetzt werden kann, wo Vermögen vorhanden ist. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit Bezug zur Schweiz betrifft das häufig die Anerkennung und Vollstreckung schweizerischer Entscheidungen in Deutschland oder – umgekehrt – deutscher Entscheidungen in der Schweiz. Maßgebliche Grundlage ist in den meisten zivil- und handelsrechtlichen Konstellationen das Lugano-Übereinkommen 2007 (LugÜ 2007), das im Verhältnis Deutschland–Schweiz seit 1. Januar 2011 Anwendung findet. Wir begleiten Sie dabei nicht nur „formal“, sondern mit einem klaren Ziel: den Titel in die tatsächliche Vollstreckung zu bringen, Konten zu pfänden, Vermögenswerte zu sichern und die Durchsetzbarkeit realistisch zu bewerten, bevor unnötige Kosten ausgelöst werden.


1. Anerkennung und Vollstreckung: Der entscheidende Unterschied

In der Praxis werden zwei Dinge häufig vermischt:

Erstens bedeutet Anerkennung, dass eine ausländische Entscheidung im Inland grundsätzlich als verbindlich behandelt wird, etwa als Grundlage für Einwendungen, Aufrechnungen oder Rechtskraftwirkungen.

Zweitens bedeutet Vollstreckung, dass die Entscheidung im Inland zwangsweise durchgesetzt werden kann, also beispielsweise durch Kontopfändung, Sachpfändung oder Zwangssicherungshypothek.

Gerade im Verhältnis zur Schweiz ist dieser Unterschied zentral, weil für die Vollstreckung regelmäßig eine Vollstreckbarerklärung (Exequatur) benötigt wird. Das LugÜ 2007 sieht dafür ein eigenes, formalisiertes Verfahren vor, das durch nationales Verfahrensrecht ergänzt wird.


2. Welche Titel fallen typischerweise darunter?

Unter dem LugÜ 2007 werden insbesondere Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen erfasst, einschließlich arbeitsrechtlicher Streitigkeiten und in vielen Konstellationen auch Unterhaltssachen. Zugleich gibt es bedeutsame Ausnahmen, etwa für bestimmte familien- und erbrechtliche Materien; die Abgrenzung ist im Einzelfall zwingend zu prüfen. Für die Praxis besonders relevant sind Leistungsurteile (Zahlung, Herausgabe, Unterlassung mit hinreichender Bestimmtheit), gerichtliche Vergleiche (wenn die Voraussetzungen des LugÜ erfüllt sind), bestimmte öffentliche Urkunden, soweit das Übereinkommen hierfür eine Vollstreckbarkeit eröffnet.

Wichtig ist dabei ein Punkt, den die aktuelle Rechtsprechung deutlich herausarbeitet: Vollstreckbar erklärt werden kann nur ein Titel mit vollstreckungsfähigem Inhalt. Das Schweizer Bundesgericht betont, dass typischerweise nur Leistungsurteile exequaturfähig sind, während reine Feststellungs- oder Gestaltungsurteile regelmäßig nicht „zwangsvollstreckbar“ sind. Gleichzeitig darf das Vollstreckungsgericht den Titel zwar auslegen und konkretisieren, aber nicht inhaltlich neu prüfen („révision au fond“ ist verboten).

3. Vollstreckung eines Schweizer Titels in Deutschland: Ablauf in der Praxis

Wenn Sie ein Schweizer Urteil oder einen Schweizer Vergleich in Deutschland durchsetzen möchten, läuft es in der Praxis regelmäßig in drei Schritten:

3.1. Vorprüfung: Ist das LugÜ 2007 überhaupt anwendbar?

Wir prüfen zunächst, ob die Angelegenheit eine Zivil- oder Handelssache im Sinne des LugÜ 2007 ist und keine Ausschlussmaterie vorliegt. Wir prüfen außerdem, ob der Titel im Ursprungsstaat vollstreckbar ist, weil dies eine zentrale Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung ist.

3.2. Exequatur/Vollstreckbarerklärung in Deutschland (formales Verfahren)

Die Vollstreckbarerklärung richtet sich im Zusammenspiel nach dem LugÜ 2007 und den deutschen Ausführungsvorschriften (insbesondere AVAG). Das deutsche Gericht prüft dabei grundsätzlich nur begrenzt und formal, also nicht noch einmal die „materielle Richtigkeit“ der Entscheidung. Für die Antragstellung sind in der Praxis insbesondere erforderlich:

  • eine Ausfertigung der Entscheidung/des Vergleichs,
  • die gerichtliche Bescheinigung nach dem LugÜ (Formblatt/Bestätigung zur Vollstreckbarkeit),
  • gegebenenfalls Übersetzungen, wenn das Gericht dies verlangt; häufig sind Übersetzungen nicht in jedem Detail zwingend, es hängt aber von Fall und Gericht ab.


 Für das Exequaturverfahren ist nach den Informationen der Justizverwaltung regelmäßig keine Apostille/Legalisation erforderlich.

3.3. Zwangsvollstreckung in Deutschland (Pfändung, Gerichtsvollzieher, Registerzugriffe)

Sobald die Vollstreckbarerklärung vorliegt, beginnt die eigentliche „harte“ Phase: die Auswahl der effektiven Vollstreckungsmaßnahmen. Taktisch entscheidend sind hier insbesondere die Vermögenslage, die Geschwindigkeit, Sicherungsbedürfnisse sowie die Frage, ob parallel Sicherungsmaßnahmen in Betracht kommen.


4. Anerkennungs- und Versagungsgründe: Wo scheitern Fälle typischerweise?

Auch wenn das Exequaturverfahren formalisiert und grundsätzlich „gläubigerfreundlich“ ist, gibt es typische Angriffspunkte, die wir im Interesse des Gläubigers antizipieren oder im Interesse des Schuldners verteidigungsorientiert auswerten. Fehlender vollstreckungsfähiger Inhalt des Titels (zu unbestimmt, keine echte Leistungspflicht). Hierzu ist die neuere bundesgerichtliche Linie besonders klar: Ist der Ausspruch nicht hinreichend konkretisierbar, muss Exequatur verweigert werden; Auslegung ja, „Neuverhandlung“ nein. Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung (insbesondere Rechtskraftkollisionen). Die Prüfung ist anspruchsvoll, weil es auf Reichweite und Bindungswirkung der jeweiligen Entscheidung ankommt.

Ordre public: Dieser Einwand wird häufig behauptet, aber selten erfolgreich. Das Schweizer Bundesgericht zeigt in einer aktuellen Konstellation, dass selbst Vorwürfe eines missbräuchlichen Vorgehens hohe Anforderungen erfüllen müssen, um einen Ordre-public-Verstoß zu begründen. Gleichzeitig betont die Rechtsprechung, dass eine Anerkennungsverweigerung wegen behaupteter Unzuständigkeit des Ursprungsgerichts nur sehr begrenzt möglich ist.

5. Vollstreckung eines deutschen Titels in der Schweiz: Was ist anders?

Wer einen deutschen Titel in der Schweiz durchsetzen möchte, muss ebenfalls die Logik des LugÜ 2007 beachten: Auch dort wird im Regelfall ein Exequatur beantragt und anschließend nach schweizerischem Vollstreckungsrecht (insbesondere dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht) vollstreckt.

In der Praxis ist besonders wichtig, früh zu klären:

  • ob in der Schweiz ein klassisches Betreibungsverfahren sinnvoll ist,ob Sicherung (z. B. Arrest) erforderlich ist,
  • ob der Titel inhaltlich hinreichend bestimmt ist, um als Grundlage für definitive Rechtsöffnung und anschließende Vollstreckung zu dienen.


Gerade die Frage der Bestimmtheit und des „vollstreckungsfähigen Inhalts“ ist auch aus Schweizer Perspektive ein wiederkehrender Streitpunkt, wie die aktuelle Rechtsprechung zeigt.


6. Unser Ansatz

Viele Mandate scheitern nicht am materiellen Anspruch, sondern an typischen Vollstreckungsproblemen: Vermögensverschiebungen, Informationsdefizite, Verzögerungstaktiken oder falsche Verfahrenswahl. Wir setzen daher strukturiert an: Wir prüfen erstens, welches Anerkennungs- oder Vollstreckungsregime tatsächlich einschlägig ist, und ob der Titel die formellen Anforderungen erfüllt. Wir entwickeln zweitens eine Vollstreckungsstrategie, die Vermögenszugriffe, Zeit und Kosten realistisch abbildet. Wir führen drittens das Exequaturverfahren und koordinieren anschließend die Vollstreckungsschritte so, dass der Titel nicht nur „anerkannt“, sondern wirtschaftlich verwertet wird. Wenn Sie bereits einen Titel haben, sprechen Sie uns an. Wenn Sie noch keinen Titel haben, prüfen wir mit Blick auf spätere Vollstreckung bereits im Erkenntnisverfahren, wie der Antrag und Tenor gestaltet werden müssen, um die spätere grenzüberschreitende Durchsetzung nicht zu gefährden.