Presserecht und Meinungsäußerung vs. Persönlichkeitsrechtsverletzung
Öffentliche Kritik, Berichterstattung und Bewertungen im Internet sind alltäglich geworden. Gleichzeitig endet die Meinungsfreiheit dort, wo falsche Tatsachen verbreitet, Personen oder Unternehmen gezielt herabgesetzt oder Bild- und Videoaufnahmen ohne Rechtsgrundlage veröffentlicht werden. Juristisch ist das Spannungsfeld klar: Art. 5 Abs. 1 GG schützt Meinungsäußerungen (auch scharf und zugespitzt), aber Art. 5 Abs. 2 GG setzt Grenzen – insbesondere durch „allgemeine Gesetze“ und den Schutz der persönlichen Ehre.
Als Kanzlei mit ausgeprägtem Deutschland-/Schweiz-Bezug unterstützen wir Mandantinnen und Mandanten in der Abwehr rufschädigender Inhalte ebenso wie in der rechtssicheren Durchsetzung berechtigter Kritik – außergerichtlich und gerichtlich.
1. Was ist erlaubt – Meinung oder Tatsache?
In der Praxis entscheidet häufig die erste Weichenstellung: Handelt es sich um ein Werturteil (Meinung) oder um eine Tatsachenbehauptung? Werturteile / Meinungen sind geprägt von Elementen des Dafürhaltens und Meinens. Sie sind grundsätzlich weit geschützt, auch wenn sie überspitzt, polemisch oder emotional formuliert sind. Grenzen bestehen dort, wo die Äußerung zur reinen Herabsetzung wird oder strafbare Ehrverletzungen erreicht (Beleidigung/Üble Nachrede/Verleumdung können parallel strafrechtlich relevant sein). Der verfassungsrechtliche Maßstab ist streng: Eine vorschnelle Einstufung als „Schmähkritik“ verkürzt den Schutz der Meinungsfreiheit und ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig.
Tatsachenbehauptungen sind dem Beweis zugänglich („hat nicht gezahlt“, „hat betrogen“, „hat gefälscht“, „war nie Kunde“). Unwahre Tatsachenbehauptungen sind regelmäßig unzulässig und können Unterlassungs-, Löschungs-, Widerrufs- und Schadensersatzansprüche auslösen. Die zivilrechtliche Durchsetzung erfolgt typischerweise über § 823 Abs. 1 BGB (Verletzung „sonstiger Rechte“, insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. Unternehmenspersönlichkeitsrechts) in Verbindung mit dem Beseitigungs- und Unterlassungsgedanken des § 1004 BGB analog.
2. Bewertungen (Google, Kununu, Jameda & Co.): Wann wird es rechtswidrig?
Bewertungen sind rechtlich besonders konfliktträchtig, weil sie oft Mischformen enthalten: Meinung („unfreundlich“) + Tatsachenkern („nie Leistung erhalten“) + Sternbewertung.
2.1 Typische rechtswidrige Konstellationen
Rechtswidrig wird eine Bewertung insbesondere, wenn kein Kunden-/Leistungskontakt bestand („Fake-Bewertung“), konkrete Tatsachen behauptet werden, die nicht stimmen, Schmähungen/Beleidigungen dominieren, Inhalte gezielt geschäftsschädigend sind (z.B. bewusst falsche Vorwürfe zur Seriosität oder Gesetzesverstöße).
2.2 Prüfpflichten von Portalen nach Beanstandung
Für Betroffene ist zentral: Plattformen haften nicht wie ein „Erstveröffentlicher“, aber sie können als Hostprovider in Anspruch genommen werden, wenn sie nach Hinweis nicht angemessen reagieren. Der Bundesgerichtshof hat die Prüf- und Handlungspflichten von Bewertungsportalen in ständiger Linie konkretisiert: Nach substantiierter Beanstandung müssen Portale im Rahmen des Zumutbaren prüfen, ob die Bewertung eine Rechtsverletzung darstellt. Besonders relevant für die Praxis ist die BGH-Rechtsprechung zur Google-Bewertung: Wenn der Betroffene plausibel rügt, dass kein tatsächlicher Kontakt bestanden habe, löst dies regelmäßig Prüfpflichten des Plattformbetreibers aus; die Bewertung kann dann nicht schlicht „stehen bleiben“, ohne dass eine nachvollziehbare Überprüfung erfolgt.
2.3 Zielrichtung der anwaltlichen Vorgehensweise
In der anwaltlichen Umsetzung geht es regelmäßig um drei Ebenen:
- Beweissicherung (Screenshot, URL, Zeitstempel, ggf. Zeugen der Abrufbarkeit).
- Beanstandung mit Substanz (warum unwahr / kein Kontakt / beleidigend / unzulässiger Tatsachenkern).
- Durchsetzung: Löschung, Unterlassung, ggf. gerichtliche Eilentscheidung.
3. Unternehmerpersönlichkeitsrecht und Schutz der Unternehmensreputation
Nicht nur natürliche Personen, auch Unternehmen können sich gegen rufschädigende Veröffentlichungen wehren. In der Praxis läuft dies unter Unternehmenspersönlichkeitsrecht, ergänzt durch wirtschaftsbezogene Schutzinstrumente (z.B. bei kreditgefährdenden Äußerungen).
Typische Fälle:
- rufschädigende „Warnposts“ in sozialen Medien,
- Vorwürfe von Betrug, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung,
- „Prangerwirkung“ durch Namensnennung, Bilder, Adressen, Mitarbeiterbezug,
- Kampagnenartige Negativbewertungen.
Gerichte nehmen bei der Abwägung ernst, dass kritische Berichterstattung und Verbraucherinformation grundsätzlich zulässig sind, aber Identifizierbarkeit, Kontext, Wahrheitsgehalt und Prangerwirkung die Waage deutlich kippen können. Bei identifizierender Verdachtsberichterstattung stellt der BGH beispielsweise hohe Anforderungen an journalistische Sorgfalt und das Einholen einer Stellungnahme.
4. Bilder und Videos: Wann liegt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor?
4.1 Grundsatz: Einwilligung
Bildnisse, also Bilder von Ihnen dürfen grundsätzlich nur mit Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.
4.2 Ausnahmen – und ihre Grenzen
Das Kunsturhebergesetz erlaubt bestimmte Konstellationen auch ohne Einwilligung (z.B. „Zeitgeschichte“, „Beiwerk“, „Versammlungen“). Entscheidend ist aber: Selbst wenn ein Ausnahmetatbestand greift, bleibt die Veröffentlichung unzulässig, wenn berechtigte Interessen verletzt werden. Gerade bei Online-Veröffentlichungen ist die Interessenabwägung häufig streng, weil Reichweite, Dauerhaftigkeit, Weiterverbreitung und Kontext (z.B. „Pranger“) die Eingriffsintensität erhöhen.
4.3 Typische Risikofelder in der Praxis
Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung kann insbesondere vorliegen bei heimlichen Aufnahmen (z.B. im Betrieb, in Kanzlei-/Praxisräumen, in privaten Situationen), „Bloßstellungs-Videos“ (Streit im Laden, Konflikt mit Mitarbeitern, „Name & Shame“), Veröffentlichung von Unfall-, Gesundheits- oder Intimsachverhalten, Kontextmanipulation (Zuschnitt, Captioning, Kombination mit Vorwürfen), Veröffentlichung von Minderjährigen ohne tragfähige Einwilligungs-/Interessenlage.
4.4 Unterlassung muss „treffsicher“ formuliert sein
Für erfolgreiche Unterlassungstitel kommt es auf präzise Anträge an. Der BGH hat zur Reichweite eines Unterlassungsgebots bei Bildveröffentlichungen herausgearbeitet, dass gerichtliche Verbote häufig auf die konkrete Verletzungsform zugeschnitten sind; wer mehr erreichen will, muss die Verbotsfassung sauber begründen und an der richtigen Stelle verallgemeinern.
4.5 Aktuelle Linie zu Bildberichterstattung und Identifizierbarkeit
Auch bei Vorgängen von öffentlichem Interesse ist die identifizierende Bildberichterstattung nicht „automatisch frei“. Der BGH hat dies in jüngerer Zeit erneut in einer prominenten Konstellation betont und die Abwägung entlang von Informationsinteresse, Kontext, Identifizierbarkeit und Eingriffsintensität konkretisiert.
5. Unterlassung, Löschung, Gegendarstellung, Geldentschädigung: Welche Ansprüche gibt es?
Je nach Fallkonstellation kommen insbesondere in Betracht:
- Unterlassung (künftige Wiederholung verhindern) und Beseitigung/Löschung (Inhalt entfernen), gestützt auf § 823 BGB i.V.m. § 1004 BGB analog.
- Gegendarstellung im presserechtlichen Kontext (bei Tatsachenbehauptungen, formale Anforderungen).
- Widerruf/Richtigstellung bei unwahren Tatsachen.Schadensersatz und in gravierenden Fällen Geldentschädigung (insbesondere bei schwerwiegenden, nachhaltigen Eingriffen).
- Eilrechtsschutz (einstweilige Verfügung), wenn schnelle Entfernung erforderlich ist; dabei müssen Gerichte die grundrechtliche Abwägung sorgfältig vornehmen, wie das BVerfG in aktuellen Konstellationen zur Meinungsfreiheit und Unterlassung im Eilverfahren betont.